Fehlende Endlager wirken sich auch auf Grafenrheinfeld aus

Bürgerinitiative aus Würgassen fürchtet die Zwischenlagerung von Atommüll bis 2100

18.01.23 –

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Dirk Wilhelm war Mitarbeiter im AKW Würgassen und blickt auf eine 20-jährige Erfahrung in der Energieerzeugung und -verteilung zurück. Aktuell arbeitet er in der Solarbranche. Politisch interessiert war er von je her, aber Aktivist zu werden – für ihn unvorstellbar. Am 6. März 2020 hat sich das geändert, als ihn wie viele andere die Entscheidung überraschte, dass das Gelände des 1994 stillgelegten Kernkraftwerks Würgassen im Dreiländereck von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen statt des erwarteten Rückbauziels „grüne Wiese“ zur einzigen Atommülldrehscheibe aller schwach- und mittelradioaktiven Abfälle Deutschlands werden soll. Fernab überregionaler Verkehrsanbindungen und inmitten eines touristisch geprägten Naherholungsgebietes soll auch der Atommüll aus Grafenrheinfeld eines Tages dort landen, davor wird aber Atommüll aus Würgassen nach Grafenrheinfeld transportiert.

Ein Irrsinn, der gestoppt werden muss. Das war das Fazit einer vom Grünen Landtagsabgeordneten Paul Knoblach und den Ortsverbänden von Grafenrheinfeld und Bergrheinfeld veranstalteten Informationsveranstaltung. Hauptredner Wilhelm. Die Kernaussagen des Vorsitzenden der Bürgerinitiative „Atomfreies 3-Ländereck“ deckten sich mit denen von „Moderator“ Knoblach: Seit sechs Jahrzehnten wird Atomschrott auf Halde produziert, für die Endlagerung allen Atommülls gibt es aber noch kein Konzept und deshalb wird uns dieses hochgefährliche Problem noch Jahrzehnte belasten.

Mit Dokumenten und Plänen belegte Wilhelm die Gründe für das Nein eines ganzen Landstrichs zu den Plänen der bundeseigenen Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ). In eine 325 Meter lange und 125 Meter breite Halle (das entspricht der Größe von drei Fußballstadien) soll ab 2027 Atomschrott aus ganz Deutschland nach Würgassen angefahren, dort sortiert und zum Endlager „Schacht Konrad“ bei Salzgitter weitertransportiert werden.

Wilhelm bedauerte bei der Standortentscheidung für Würgassen die mangelnde Transparenz, den weitgehenden Ausschluss der Öffentlichkeit und die vielfache Missachtung der Vorgaben der Entsorgungskommission des Bundes. Auch die Transportsicherheit und der Strahlenschutz hätten keine Berücksichtigung gefunden. „Es gilt Standards einzuhalten, da haben Verschweigen und Verniedlichung nichts zu suchen“, sagte er unter Beifall im voll besetzten Gadenbau in Grafenrheinfeld.

Die Bürger-Bewegung im Dreiländereck hat namhafte Fürsprecher, darunter neben Jürgen Trittin (GRÜNE) eher unerwartet auch politisch schwarze Prominenz. Der frühere CDU-Umweltminister Klaus Töpfer nannte die Vorgehensweise „geradezu ein Modellbeispiel, wie man sowas ohne jedes politische Fingerspitzengefühl macht. Das Verfahren gehört auf null gesetzt.“ Bitterböse habe auch der ehemalige bayerische CSU-Ministerpräsident Günther Beckstein reagiert. Er ist Mitglied im Nationalen Begleitgremium für eine faire Endlagersuche.

Unmittelbar betroffen ist aber auch unsere Schweinfurter Region, weil Schacht Konrad als bisher einziger Endlager-Standort nur rund 303.000 Kubikmeter Atommüll aufnehmen kann. Wenn im April 2023 die letzten deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet werden, bleiben rund 27.000 Kubikmeter hochradioaktiver Müll (entspricht ca. 1900 Castor-Behältern) und weitere 300.000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktiver Müll (inklusive der havarierten Fässer im Salzbergwerk Asse in Niedersachsen und laufendem Anfall aus der Urananreicherung) übrig, für welche sich noch ein weiteres Endlager finden muss. „Auch diese schwach- und mittelradioaktiven Abfälle, welche in Schacht Konrad keinen Platz finden, strahlen über mehrere einhundert tausend Jahre, sind teils toxisch und müssen in ein Endlager verbracht werden, das wird aber extrem selten gesagt“, merkte Wilhelm an.

Die große Frage ist: wohin damit? Denn: Die für 2031 geplante Festlegung auf weitere Endlager-Standorte wird sich erheblich verzögern. Entschieden werden soll nun frühestens 2046, möglicherweise erst 2068, so dass unter anderem wegen möglicher Klagen eine Inbetriebnahme eines nächsten Endlagers vor 2080 sehr unwahrscheinlich ist, rechnete Wilhelm vor.

Und all dies hat „unmittelbare Auswirkungen auf die Zwischenlagerung aller radioaktiver Abfälle in Deutschland und damit auch in Grafenrheinfeld“, erklärte der Vorsitzende. Es sei zu befürchten, dass die aktuellen Zwischenlager bis über das Jahr 2100 hinaus genutzt werden müssen, für die die Genehmigungszeiten aber weit davor auslaufen. Atommüll müsse also weiterhin in Gebäuden verweilen, die für diese Lagerung über Jahrzehnte nicht konzipiert wurden. Es bestehe darüber hinaus die Gefahr von Unfällen oder der in diesen Zeiten nicht auszuschließenden Einwirkung durch Dritte von außen. Außerdem laufen die Kosten aus dem Ruder. Schätzungen zufolge sollen sie allein in den nächsten acht Jahrzehnten bei 169 Milliarden Euro liegen. Die vier Kernkraft-Konzerne E.on, Vattenfall, RWE und EnBW sind demgegenüber zum Schnäppchenpreis von lediglich 24 Milliarden Euro ihre Verantwortung losgeworden.

In Würgassen hofft man, den Bau noch verhindern zu können. Die Bürgerinitiative Atomfreies 3-Ländereck setzt dabei unter anderem auf ein im Auftrag der Landesregierungen von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen vom TÜV Nord erstelltes Gutachten. Tenor: die geplante Einrichtung für die Belieferung des Endlagers ist nicht notwendig, weil es bei der Endlagerung keinen signifikanten Zeitvorteil erbringt. Hingewiesen wird darin auch auf die höhere Strahlenbelastung und erhöhte Unfallrisiken. „Kommt das Lager in Würgassen, wird die gefährliche Last jahrelang per Lkw durch viele kleine Ortschaften nach Würgassen und später per Bahn auf einer größtenteils nur eingleisigen Strecke zum 140 Kilometer entfernten Schacht Konrad transportiert werden“, erläutert Wilhelm. Eine Entscheidung, ob das gigantische Lager in Würgassen gebaut wird, soll es noch dieses Frühjahr geben.

Und in Schweinfurt? Geht der Protest gegen die Atommülltransporte weiter, erklärte Knoblach. Der MdL und Wilhelm waren sich mit weiteren Diskussionsteilnehmern einig: Weil ein Konzept zur Endlager-Lösung nicht zu erkennen ist, sind bei allen künftigen Entscheidungen Transparenz, Beteiligung der Bürger und lernende Verfahren dringend nötig. Atommüll munter durchs Land zu fahren, sei jedenfalls keine Lösung und abzulehnen, zumal es sicherere, ökologisch verträgliche und kosteneffiziente Lösungen zur Lagerung und Entsorgung der atomaren Hinterlassenschaft gebe.

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