05.07.2021 Gutachten bdew "Überdüngung verursacht Umweltkosten in Milliardenhöhe"

06.07.21 –

Wesentliche Aussagen des Gutachtens

Das Gutachten kommt zu folgenden Hauptergebnissen:

•Die Düngeverordnung (DüV 2020) setzt europäisches Recht nicht vollständig um: Sie entspricht nicht den Ansprüchen einer konsequenten Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie und der normativen Umsetzung der Zweckbestimmung des Düngegesetzes. Die DüV ba-siert auch nicht auf einer von wissenschaftlicher Evidenz geprägten Spezifizierung der gu-ten fachlichen Praxis (gfp) der Düngung, sondern auf nicht bewiesenen Annahmenim Un-terschied zu anderen EU-Mitgliedstaaten. Deutschland setzt die EU-Schutzziele nicht voll-ständig um.

•Die Kosten für die verursachten Umweltschäden durch die nicht EU-konformeDüngung betragen etwa 3 Mrd. Euro pro Jahr, d.h. allein in den letzten 10 Jahren, (in denen D auch die selbst gesetzten Ziele der Nachhaltigkeitsstrategie-maximaler sektoraler N-Saldo ab dem Jahr 2010:80 kg N/ha) deutlich verfehlt hat -ist durch die nicht vollstän-dige Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie ein Umweltschaden von rund 30 Mrd. Euro ver-ursacht worden.

•Eine weitere Anpassung der DüV 2020 ist zur vollständigen Umsetzung des europäi-schen Rechts erforderlich: AlsSofortmaßnahme sollte übergangsweise die Reduktion des Düngebedarfs um 20%bundesweit gelten. •Die Aufhebung der Allgemeine Verwaltungsvorschrift Gebietsweisung (AVV GeA) ist er-forderlich: Die EU-Nitratrichtlinie sieht die unsicheren und nur begrenzt im Detail nachvollziehbaren rechnerischen Modellierungen der AVV GeA nicht vor, dieoffensichtlich primär die Verkleinerung und nicht die tatsächliche Ausweisung gefährdeter Gebiete verfol-gen. Da die Nitratrichtlinie zudem sämtliche Wasserkörper und somit auch die nahezu flä-chendeckend belasteten Fließgewässer adressiert, sollte konsequenterweise die landwirt-schaftliche Fläche in ganz Deutschland als gefährdetes Gebiet gekennzeichnet werden.

•Zur Kontrolle der Düngung ist umgehend eine Novellierung der Stoffstrombilanzverord-nung (StoffBilV) mit ambitionierten Grenzwerten im Sinne des Gewässerschutzes erfor-derlich:Der Wegfall des betrieblichen Nährstoffvergleichs ohne eine entsprechende kom-plementäre Regelung verhindert die Kontrolle der guten fachlichen Praxis der Düngungauch und besonders Phosphor betreffend.

Im Einzelnen

Ausführungen zu den Schwerpunktthemen im Gutachten

• Liegen substanzielle Verbesserungen der DüV2020 gegenüber der DüV 2017 vor?

Positiv zu würdigen sind u.a. die Einführung

-der neuen Wirkungsgrade der organischen bzw. mineralisch-organischen Düngemittel (insbesondere Güllen),

-die erhöhten Abstandsregeln bei der Düngung anGewässern und

-das absolute Verbot der Düngung auf gefrorenen Böden.

Deutlich negativ wirkt hingegen der Wegfall des betrieblichen Nährstoffvergleichs ohne eine entsprechende komplementäre Regelung für eine Kontrolle der Düngung und die Sanktions-mechanismenbei Verstößen. Dies betrifft besonders auch die Verminderung der Belastungen durch Phosphor (P). Die Streichung war u.a. die Reaktion der Bundesregierung auf die nicht von der EU-Kommission akzeptierten hohen Standardverluste (Nährstoffüberschüsse).

• Entsprechen insbesondere die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Ausweisungvon mit Nitrat belasteten und eutrophierten Gebieten (AVV GeA) vom 03.11.2020 den Vorgaben der EU-Nitratrichtlinie?

- Die DüV 2020 entspricht nicht den Ansprüchen einer konsequenten Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie und der normativen Umsetzung der Zweckbestimmung des Dünge-gesetzes. Die DüV basiert nicht auf einer von wissenschaftlicher Evidenz geprägten Spezifizierung der guten fachlichen Praxis (gfp) der Düngung.

- Die Regelungen der DüV unter Einbeziehung der AVV GeA leisten keinen nachhaltig substanziellen Beitrag zur Reduzierung der Stickstoff (N)-und Phosphor (P)-Düngung und damit zum Schutz der Gewässer.

- Die EU-Nitratrichtlinie sieht die mit der AVV GeA umfassend eingeführten rechneri-schen Modellierungen nicht vor.

- Die AVV GeAwird in ihrer aktuellen Form weder als zulässig noch geeignet eingestuft und ist daher aufzuheben.

- Das Gutachten belegt die erheblichen Schwachstellen dieser AVV GeA–Modellierungsansätze im Detail und kommt zu dem Ergebnis, dass die Validität der Ansätze dem Anspruch nicht gerecht werden kann.

- In der AVV GeA wurde von vornherein mit AGRUM usw. eine Methodenauswahl ge-troffen, die hauptsächlich die Verkleinerung und nicht die tatsächliche Ausweisung gefährdeter Gebiete verfolgt.

- Es ist grundsätzlich zu prüfen, ob das in § 13a DüV eingeräumte Recht zur „Vereinheit-lichung der Vorgehensweise bei der Gebietsausweisung“ mittels einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift dazu genutzt werden durfte, eine AVV GeA zu entwickeln, die aufgrund der gewählten Methoden und der Zulassung einer zwei-fachen Binnendifferenzierung (immissionsbasiert und emissionsbasiert) im Ergebnis nahezu zwangsläufig eine massive Verkleinerung ohne Berücksichtigung des Verursacherprinzips herbei-führt.

- Eine emissionsbezogene Betrachtung der nitratbelasteten Gebiete ist weder in der DüV 2017 noch 2020 vorgesehen und demnach auch nicht EU-rechtlich zulässig. Die Grundlage für den Emissionsansatz wurde durch die Herausnahme des betrieblichen Nährstoffvergleichs aus der DüV 2017ersatzlos gestrichen.Mithin fehlt es insoweit gleichermaßen an der Rechtsgrundlage wie am Verursacherprinzip, was auch durch eine bloße Verwaltungsvorschrift nicht geheilt werden kann.

- Die Binnendifferenzierung gemäß AVV GeA § 6 Absatz 1 Satz 2 Nr. 1„durch Ver-fah-ren der Regionalisierung nach Anlage 2“ sowie die Anlage 2 ist wissenschaftlich nicht zulässig und muss abgeschafft werden.•Erfüllt der seitens der Bundesrepublik Deutschland gewählte Ansatz (DüV 2020 und AVV GeA 2020) grundsätzlich die rechtlichen Vorgaben der einschlägigen EU-Umweltrichtli-nien (Nitratrichtlinie, EuGH-Urteil vom 21.06.2018, C-543/16, Wasserrahmenrichtlinie, NERC-Richtlinie; Meeresstrategierichtlinie) sowie die politischen Vorgaben der Nachhal-tigkeitsstrategieDeutschland?

- Deutschland setzt die Schutzziele flächendeckend nicht um. Daraus resultiert die Forderung, ganz Deutschland –wie ursprünglich geschehen -als gefährdetes Gebiet im Sinne des Gewässerschutzes auszuweisen.

- Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 21. Juni2018 (Rechtssache C-543/16 –Kom-mission/Deutschland) den Begriff der Gewässer mit Bezug auf den ausdrücklichen Wortlaut in der Nitratrichtlinie weit verstanden und umfassend sowohl Grundwasser als auch sämtliche Oberflächengewässer in das Schutzregimeder Nit-ratrichtlinie einbezogen.

- Die bereits im Düngegesetz (DüngeG) in § 1 (4) angelegte besondere Beachtung der ökologischen Folgen der Düngung (‚sind so weit wie möglich zu vermeiden‘) als Konse-quenz der Forderungen zur Umsetzung der EU-Vorgaben (u.a.EU-Nitrat-;-WRRL-;-MSRL-und NERC-Richtlinie) wird durch die Staatszielbestimmung Umweltschutz nach Art. 20a GG unterstrichen.

- Kurzfristig muss der Abbau derStickstoff-Überschüsse jährlich verdreifachtwerden, auf 3 kg/ha/Jahr (statt bisher 1 kg N/ha/Jahr an Minderung seit 2000) bis 2030 auch um die Vorgaben der Nachhaltigkeitsstrategie Deutschland erstmals zu erfüllen. Mittel-fristig wird das aber nicht reichen, denn bis 2045 steht ein Zielwert von maximal 50 kg N/ha im Raum. -Ein zentraler Kritikpunktist die Interpretation des Begriffs Grundwasserkörper. Grundlage hierfür ist der Bezug der DüV zu den diesbezüglichen Kriterien in §2, Abs. 1 der Grundwasserverordnung (GrwV), wonach Grundwasserkörper im Sinne des § 3 Nr. 6 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) insbesondere unter Berücksichtigung von Daten zur Hydrologie, Hydrogeologie, Geologie und Landnutzung zu ermitteln sind.

- Speziell der Begriff „Gebiete (Gesamtfläche) von Grundwasserkörpern“ kann dem-nach nur im Sinne der Gesamtfläche von Grundwasserkörperndefiniert und verstan-den sein. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Auslegung des Begriffs „Gebiete von Grundwasserkörpern“, ebenso wie der gesamte Prozess der Binnendifferenzierung, wie sie seit April 2020 bis heute in Deutschland im Rahmen der Konstruktion der AVV GeA angelegt und umgesetzt wurden, juristisch und fachlich nicht legitimiert.

- Der als ‚Gegenargument‘ im Sinne einer Wirksamkeit der DüV häufig angeführte deut-lich reduzierte Absatz von Mineraldüngern seit 2018 ist weitgehend den Trockenjah-ren 2018 und 2019geschuldet.-Die Bundesregierung hat dafür Sorge zu tragen, dass eine vollständige Transparenzim Hinblick auf die Datenbereitstellung zur Bodenversorgung mit P (als ein Indikator für P-Verluste) von allen Bundesländern in hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung bereit-gestellt wird. Die Tatsache, dass diese Daten, die nach EU-Vorgaben ebenso wie nach DüV seit 2006 auf den Betrieben verfügbar sind, gerade von Bundesländernmit hoher Tierdichte und entsprechend höchsten P-Bodenversorgungen (z.B. Niedersachsen) un-ter Verschluss gehalten werden, ist inakzeptabel im Sinne der Umsetzung der EU-Vor-gaben.

- Die Bundesregierung hat dafür Sorge zu tragen, im Rahmen einer Plausibilitäts-analyse mögliche methodische Defizite der sektoralen Stickstoffbilanzierungfür Deutschland offen zu legen.

- Die nicht bedarfsgerechte Düngunglaut DüV verursacht in Deutschland Umwelt-schä-den in Höhe von 3 Mrd. Europro Jahr, allein in den letzten 10 Jahren sind dies rund 30 Mrd. Euro.

• Welche weiteren Änderungen sind ggf. notwendig und welche Rolle sollte die Stoffstrombilanzverordnung einnehmen, die ab 2021 eingeführt werden soll?

- Das Ziel sollte es sein, die DüV den Notwendigkeiten der EU-Vorgaben anzupassenund parallel eine sicher wirksame und staatlich gut kontrollierbare rechtliche Lösung zu imple-mentieren, wie eine ambitioniert ausgestalteteHoftorbilanz im Rahmen der StoffBilV. -Die Novellierung der Stoffstrombilanzverordnung sollte für alle landwirtschaftlichen Be-triebe gelten, so dass eine lückenlose Nachvollziehbarkeit der N-und P-Flüsse gewährleis-tet (siehe Vorschlag UBA Heft 200/2020 )ist.

- Zu der Novellierung der StoffBilVliegt ein Vorschlag einer Gruppe von Wissenschaftlern vor (Taube et al., 2020), der den Schutz der Umweltgüter angemessen berücksichtigt, ohne hohe Ertragsleistungen zu gefährden. Dort sind stufenweise Absenkungen der maxi-mal zulässigen Brutto-Hoftorsalden bis 2030 hinterlegt, die bei erwarteten technologi-schen Fortschritten bzw. unter Berücksichtigung von ‚best practice‘

- Verfahren und ent-sprechenden Kontrollen durch die Behörden nicht nur die Ziele der EU-Nitratrichtlinie um-setzen, sondern auch den notwendigen Pfad hin zu einer überzeugenden Klimaschutzpoli-tik beschreiten und dabei die Ziele in den Bereichen Luftreinhaltung und Biodiversität bei gleichzeitig hohen Erträgen befördern.-Die DüVist anzupassenalsRahmen für die Umsetzung der guten fachlichen Praxis im Ein-klang mit den EU-rechtlichen Vorgaben. Die in § 13a Abs. 2 DüV eingeführten sieben Pflichtauflagen in nitratbelasteten Gebieten sollten flächendeckend verbindlich eingeführt werden.

- Als Sofortmaßnahme wird in der DüV eine Übergangs-Regelung zur flächenhaften Reduk-tion des Düngebedarfs um 20% so lange empfohlen, bis eine überzeugende Novellierung der StoffBilV ihre Wirksamkeit auf den landwirtschaftlichen Betrieben entfaltet.

- Die meisten der in der DüV 2020 in § 13a Abs. 3, Satz 3 gelisteten Vorschriften für Länder-ermächtigungen gehören de facto zum normalen Rüstzeugeiner wissenschaftlich basier-ten guten fachlichen Praxis (gfP)und sollten ebenfalls verbindlich flächendeckend geregelt werden.

- Der Bund solltefür spezifisch Grundwasser gefährdete Gebiete eine Maßnahmenlistemit ausschließlich hoch wirksamen Maßnahmen erstellen.

- Beim Phosphor wird in der DüV eine verbindliche bundesweit einheitliche Regel zur Phos-phor-(P)-Düngebedarfsermittlungbenötigt. Der Bund hat keinerlei Kenntnis über die Ver-sorgungssituation der Böden mit P, weil einige Bundesländer diese den Prüfbehörden vorliegenden Daten nicht bereitstellen. Dies ist im Lichte der ökologischen Zielsetzungen und der Transparenz inakzeptabel.

- Beim Stickstoff weist die bestehende N-Düngebedarfsermittlung (§ 4DüV) insgesamt zu hohe ‚Bedarfswerte‘ für Standarderträge auf, die in 2017 um durchschnittlich 20 kg N/ha erhöht wurden.

- Die Ausnahmetatbestände zur ‚Überschreitung des Düngebedarfs infolge nachträglich auftretender Umstände‘ (§ 3, Abs. 3DüV) wie einer ‚schlechten Bestandsentwicklung‘ sind nichts anderes als eine kaum kontrollierbare und damit zusätzlich erlaubte Düngungohne wissenschaftliche Evidenz.Diese ist abzuschaffen.

- Die organisch-mineralische Düngung auf Grünland (§ 6, Abs. 11DüV) ist nach dem 1.Sep-tember entgegen jeder wissenschaftlichen Evidenz weiterhin möglich, somit bleibt Grün-land weiterhin eine potenzielle‚Gülledeponie‘.Diese Regelung ist zu streichen.

- Eine bundeseinheitliche Vorlage-, Melde-oder Mitteilungspflichtbei den Aufzeichnungspflichten zum ermittelten betrieblichen Düngebedarf und zum gesamtbetrieblichen Nähr-stoffeinsatz fehlt immer noch, diese ist zwingend in der DüV zu ergänzen.

Hintergrund

Herr Prof. Dr. Friedhelm Taube, Christian -Albrechts-Universität Kiel, hat mit seinem zweiten Gutachten für den BDEWdas neue deutsche Düngerecht analysiert.

Ziel des neuen Düngerechts sollte es sein, nach der Verurteilung Deutschlands durch den Eu-ropäischen Gerichtshof wegen nicht vollständiger Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie (EuGH-Urteil vom 21.06.2018, Rechtssache C-543/16 ), die europarechtliche Konformität herzustellen und die von der EU-Kommission angedrohten Zwangsgelder abzuwenden.

Die EU-Kommission prüft derzeit das neue Düngerecht zur Umsetzungder EU-Nitratrichtlinie. Das neue Düngerecht umfasst

• das Düngegesetz (DüngeG),

• die Düngeverordnung (DüV) und

• die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Ausweisung von mit Nitrat belasteten und eutrophierten Gebieten (AVV GeA).

Das Gutachten sollte klären,

1 .ob und welche substanziellenVerbesserungen der DüV 2020 gegenüber der alten Dünge-verordnung zum Schutz der Gewässervorliegen,

2 .ob dieVorgaben der EU-Nitratrichtlinie, insbesondere durch die AVV GEA, vollständig er-füllt werden,

3 .ob die EU-Umweltrichtlinien (Nitratrichtlinie, EuGH -Urteil vom 21.06.2018, C 543/16, Wasserrahmenrichtlinie, NERC-Richtlinie; Meeresstrategierichtlinie) sowie die politischen Vorgaben der Nachhaltigkeitsstrategie Deutschlanddurch das neue Düngerecht erfüllt werden und

4 .ob es noch Änderungsbedarf beim Düngerecht gibt und welche Rolle künftig dieStoff-strombilanzverordnungeinnehmen könnte.

Ansprechpartnerin:

Dr. Michaela Schmitz; Bevollmächtigte Wasserwirtschaft Geschäftsbereich Wasser/Abwasser

Telefon: +49 30 300199-1200

michaela.schmitz@remove-this.bdew.de

 

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