26.03.2021 Online-Konferenz Stadt-Land-Zukunft!

26.03.21 –

Die Schuhe haben Lehm in den Profilen. Die Menschen sind schweigsam und zäh. Und abends tanzt der Wind allein auf den Straßen. Wenn Städter über die ländlichen Räume sprechen, kommen schnell mal Klischees zum Vorschein.

Zu unserer Online-Konferenz „Stadt-Land-Zukunft“ trafen sich am 26. März 440 Menschen, die wissen, dass ländliche Räume auch für Lebensqualität und Vielfalt, für Experimentierräume und Innovationen, für Lösungskompetenz und hilfreiche Strukturen stehen. Die grüne Bundestagsfraktion hatte Fragen an sie und lud zum Austausch ein: Was macht die ländlichen Räume aus? Was sind die Themen vor Ort? Was funktioniert gut, wo hakt es? Und welche Wünsche und Ideen haben die Menschen aus den ländlichen Räumen für ihre Region? Uns ist klar: Keine Statistik kann das reale Leben abbilden. Was wir hier durch Zuhören lernen können, ist unersetzliche Basis für die parlamentarische Arbeit zur Stärkung gleichwertiger Lebensverhältnisse.

In Fakten:
Zur Konferenz Stadt Land Zukunft kamen 39 Impulsgeber*innen und brachten facettenreiche Erfahrungen und umfassendes Fachwissen mit. Es gab 18 unterschiedliche Expert*innen-Runden, Workshops und offenen Gesprächsformaten. Elf grüne Bundestagsabgeordnete standen als Gastgeber*innen zur Verfügung. Aus den Erfahrungen im Regionalprojekt „Stadt-Land-Zukunft“ wussten wir um die relevanten Themen. So gab es Veranstaltungen zu Gesundheitsversorgung & Mobilität, Zukunft der Arbeit, Zuzug & Bleibeperspektiven, Kommunalfinanzen & Fördermöglichkeiten, Einsamkeit & Vielfalt, Nahversorgung & regionales Wirtschaften, lebendige Ortskerne & Begegnungsorte und das gute Wohnen.

Orte des Zusammenhalts schaffen

Zum Auftakt der Konferenz sprachen Katrin Göring-Eckardt, Prof. Dr. Claudia Neu und Prof. Dr. Heinz Bude über Orte des Zusammenhalts in den ländlichen Räumen. Gemeint sind Orte für zwanglose Begegnungen, ohne dass man etwas kaufen müsste. Hier kommt man über die Milieugrenzen hinweg zusammen und verhandelt das Leben im Ort. Diese sozialen Orte sind deswegen so entscheidend für eine Region, weil sie wie ein sozialer Kitt Einsamkeit vorbeugen und die Weiterentwicklung der Umgebung in der Gemeinsaft befördern. Wer sich hier mir seinen Belangen einbringt, möchte etwas verbessern, erlebt Partizipation hautnah, genießt das Gesehenwerden und seine Mitgestaltungsmöglichkeit. Auch Scheitern darf sein. Diese Orte der Teilhabe sind ein zentraler Grundstein für gutes Leben auf dem Land.

Doch demokratische Partizipation als Alltagspraxis zu verstehen, ist nicht nur eine Frage der Gestaltung. Im Workshop von Filiz Polat wurde besprochen, dass rechtsextreme Angebote sich nur an Orten ansiedeln können, an denen die zivilgesellschaftlichen Strukturen verödet sind. So sind die Orte der Begegnung auch Garant für eine gelebte und wehrhafte Demokratie.

Der Workshop zu lebendigen Ortskernen von Daniela Wagner knüpfte hier mit einer Diskussion darüber an, welche Instrumente und Innovationen die Stärkung attraktiver Ortskerne ermöglichen. Hier wurde die Erfahrung bestätigt, dass eine selbsttragende Initiative, bestenfalls bestehend aus der Verwaltung, engagierten Bürger*innen und der lokalen Wirtschaft, das A und O bei der Entwicklung neuer sozialer Orte ist.

„Die partizipative Verwaltung“ (Prof. Dr. Claudia Neu)

Die Rolle der Verwaltung war in vielen Konferenzbeiträgen ein Thema. Im Expert*innen-Gespräch zur Finanzierung von Orten der Begegnung mit Stefan Schmidt wurde über Finanzen als Basis der kommunalen Selbstverwaltung gesprochen. Hier wurde klar, dass nur ausreichende eigene finanzielle Mittel die Kommune in ihren Gestaltungsaufgaben nachhaltig stärken können. Es liegt in der Natur von Förderprogrammen, dass sie keine langfristige Unterstützung sind. Nur wenn Kommunen über die entsprechenden Mittel verfügen, kann das Subsidiaritätsprinzip wieder greifen, nach dem möglichst viel direkt vor Ort geregelt werden soll. Wie wichtig es ist, die Aufgaben vor Ort wieder selbst schultern zu können, kam im Expert*innen-Gesprächen zur Gesundheitsversorgung mit Britta Haßelmann, zur Regionalwirtschaft mit Claudia Müller und im Workshop zur Einsamkeit von Dr. Kirsten Kappert-Gonther zur Sprache. Das Zitat „Armut macht einsam“ bezieht sich hier nicht auf Individualhaushalte, sondern auf die Gemeinden. Wenn sie über Mittel für maßgeschneiderte Angebote verfügen, erwächst daraus die Möglichkeit, dass ihre Bürger*innen im Dialog kluge Lösungen entwickeln. Die Bedeutung der gesprächsbereiten und potenten Verwaltung wurde auch bei der Umnutzung alter Gebäude thematisiert: Ob als Begegnungsort, für Wohnzwecke oder als touristisches Angebot – hier braucht es eine relevante, tragfähige Unterstützung für ein gelingendes Angebot.

„Innovation ist die Rekombination von Vorhandenem“ (Babette Scurrell, Neuland gewinnen e.V.)

Die wirklich guten Lösungen für einen Orte entstehen aus den Gegebenheiten vor Ort, den Bedürfnissen der Bürger*innen und ihrem Know How – so lautet eine weitere zentrale Beobachtung. Top-Down-Initiativen, zum Beispiel in Form von neuen Förderprogrammen, können den spezifischen Herausforderungen in den ländlichen Räumen nur selten gerecht werden, es sei denn sie sind direkt mit den lokalen Initiativen rückgekoppelt. Dies diskutierten unter anderem die Teilnehmer*innen im Workshop zum Guten Wohnen von Christian Kühn und stellten fest, dass Externe, wie zum Beispiel mobile Lotsen, bei der Entwicklung von Leerständen selten zu passgenauen, langfristig funktionierenden Lösungen verhelfen können. Die Bewohner vor Ort sind die Expert*innen ihres eigenen Lebens. Sie kennen ihre Bedürfnisse, oft haben sie auch hervorragende Lösungsideen, die weit über das Denken einer konventionell arbeitenden Verwaltung hinausgeht.

Zwei sehr schöne Beispiele sind der Gesundheitscampus Sauerland und der Gesundheitskiosk in der Region Seltenrain (Thüringen), die beide aus einer Initiative engagierter Bürger*innen hervorgingen.
Gefordert ist eine emphatische Verwaltung, die die zivilgesellschaftlichen Akteure vor Ort – engagierte Dorfbewohner*innen also – als kompetente Partner*innen anerkennt und unterstützt.

Genau an diesem Punkt suchte auch der Fördermittelworkshop von Britta Haßelmann nach einer sinnvollen Lösung. Es gilt, den Fördermitteldschungel so zu lichten und die Angebote so zu bündeln, dass lokale Akteur*innen hier eine realistische Unterstützung erkennen und mit überschaubarem Aufwand beantragen können.

Die ländlichen Räume und Städte als Partner auf Augenhöhe

In vielen Gesprächen wurde die schwierige Stadt-Land-Beziehung thematisiert. Solang die ländlichen Räume als abgehängt gelten, haben es zum Beispiel Fachkräfte-Initiativen schwer, junge Menschen für eine Berufsausbildung auf dem Land zu begeistern, wie im Workshop von Claudia Müller besprochen wurde. Erste Vorstöße entstehen, wo eine gute Versorgung mit Internet neue Formen des Arbeitens ermöglicht. Im Workshop von Dieter Janecek wurden Coworking-Spaces als Orte angedacht, wo Unternehmen und Verwaltung Tür an Tür arbeiten könnten. Hier könnten auch Arbeitsorte für Unternehmen angesiedelt werden, die ihren Mitarbeiter*innen lange Pendelfahrten ersparen möchten.

Graphic Recording aus dem Workshop „Wir entwickeln einen leerstehenden Bahnhof zu einem Coworking-Space". Sandra Bach

Es wurde überlegt, ob die Pandemie Initiator für eine Hinwendung zum Land sein könnte. Die Landsehnsucht in den Städten ist aktuell zumindest deutlich zu vernehmen. Umso wichtiger, dass in den ländlichen Räumen eine bedarfsgerecht Gesundheitsversorgung und zeitgemäße Mobilitätsangebote bereit stehen.

Im Mobilitätsworkshop von Stefan Gelbhaar und im Tourismusworkshop von Markus Tressel wurde konkret über die Möglichkeiten sicherer Fahrradwege diskutiert. Bevor die Einheimischen, Gäste und Zugezogenen sicher mit dem Pedelec zum Coworking-Space mit angegliedertem Café mit regionalen Spezialitäten fahren können, muss noch viel passieren. Denn aktuell werden die überörtlichen Straßen noch zu oft vom LKW-Verkehr dominiert, Radwege fehlen häufig.

Fazit

Ob über zum Beispiel das Baugesetzbuch oder die Straßenverkehrsordnung – in den Workshops wurden Teilaspekte auf fachlich hohem Niveau diskutiert. Unterm Strich lassen sich am Ende der Konferenz drei zentrale Aufgaben formulieren:

  • die finanzielle Stärkung der ländlichen Kommunen, um die kommunale Selbstverwaltung und Partizipation als wirkungsvolle Gestaltung in den ländlichen Räumen zu ermöglichen
  • die Stärkung der engagierten und ideenreichen Bürger*innen in ihrem Bemühen, Dorfläden, Kulturbahnhöfe, Coworking-Spaces oder andere Orte der Teilhabe am Wohnort zu gründen
  • den Diskurs um die Gleichwertigkeit von urbanen und ländlichen Lebensweisen in die Gesellschaft zu tragen und so die Orte für einen regen Austausch und einen Rahmen für eine wertschätzende Lebenspraxis für alle, die kommen und alle, die die bereits da sind, zu schaffen

Unsere Aufgabe als grüne Bundestagsfraktion ist es nun, diese Beiträge und Forderungen unserer Konferenzgäste in eine wirkungsvolle parlamentarische Arbeit zu übersetzen und herauszufiltern, wie die Bundespolitik insgesamt und eine künftige Bundesregierung im Besonderen hier besser agieren kann, als bisher. Der Ball liegt jetzt bei uns.

Wir danken allen, die mit ihrer Zeit, ihrem Wissen, ihrem Mut und ihrer Geduld zu diesem Ergebnis beigetragen haben. Lassen Sie uns in Kontakt bleiben.

 

Veranstaltungsort

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26.03.2021
14:00 Uhr

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Programm:

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